Im Archiv meines Laptops bin ich auf einen freien Text von Juni 2014 gestossen. Er gefällt mir sehr und ist für mich in der momentanen Situation, wo ich unmittelbar vor dem Beginn eines Theologiestudiums stehe, umso interessanter. Vielleicht auch ein Mutmacher für jemand anderen.
"Das richtige Leben braucht so viel Mut.
Ich stehe an einer Kreuzung, mit verschiedenen Wegen, die von mir
wegführen. Alle in die Zukunft, aber alle woanders hin. Und alle verlaufen im
Nebel. Es ist ein faszinierender Nebel, mit Klängen, die mich locken, mit
Ästen, Steinen, goldenen Kuppeln, die hin und wieder scharf zu sehen sind.
Meine Schuhe haben nasse Ränder. In meinem Rucksack sind Laub, Haselnüsse,
Federn. Papier und Tinte.
Es ist
weniger ein Ruf, als eher ein Gezogen-werden: Ich würde gerne predigen und schreiben. Wenn
ich es mir laut überlege, schüttle ich unwillkürlich den Kopf und frage mich,
woher ich den Schneid nehmen würde, dies umzusetzen. Gleichzeitig ist da
eine Lust in mir, die mich freudig kitzelt und die ich nicht ersticken will.
Ich erkläre es mir mit dem Wunsch, mich mit theologischen Fragen zu
beschäftigen, mir eine Meinung zu bilden und diese mitteilen und diskutieren zu
können. Gemischt mit der genussvollen Herausforderung, vor Leuten zu reden.
Nun die drei Fragen: Wann, wie und wo kriege ich das nötige Rüstzeug
her? Ich halte aktiv die Augen offen, schaue mir Curricula an und Ausrichtungen
der verschiedenen Schulen. Gleichzeitig weiss ich, dass ich von meinem Beruf
nicht einfach weg kann. Und nicht weg muss. Ich bin mir sicher, hier noch für
eine ganze Weile am richtigen Ort zu sein. Deswegen warte ich ab, welche Tür
sich öffnen wird. Und bereite meine Seele vor.
Ich lebe im Hier und Jetzt so, dass ich nichts bereuen muss. Halte die
Ohren meines Herzens offen, damit ich es nicht verpasse, wenn der entscheidende
Anstoss kommt. Überlege um die Ecke, wie Studium und Beruf irgendwie vereinbar
wären. Und versuche auszuloten, zu welcher Aufgabe genau es mich zieht und was
für Qualifikationen ich dafür brauchen werde.
„Have you ever thought of being a pastor?“ – die Frage eines
Missionars-Freundes blieb hängen. Pastorin – Hirtin. Jemand, der sich um andere
Menschen kümmert, sie ernst nimmt, für sie sorgt und vorangeht. Als ich von
einem halben Jahr in Laos nach Hause kam, zog ich wie ein Magnet Freundinnen und Freunde an, die im
Glauben Sorgen haben. Ich bin eine gute Zuhörerin, kann aber auch Ratschläge
geben aus meiner eigenen Erfahrung und aus dem, was ich von Gott zu hören
meine. Auch wenn ich theologisch im Vergleich mit anderen eine Anfängerin bin. Ich nehme mich als gesegnet wahr. Gleichzeitig will ich demütig bleiben, nicht meinen, es besser zu wissen.
Aber momentan tauche ich auf aus dem Meer meiner evangelikaler Prägung und atme
Luft und Sonnenstrahlen, die meine Perspektiven umkehren. Plötzlich eröffnen
sich Antworten, in einer bestechenden Einfachheit. Nur durch das Infragestellen
einiger evangelikaler Vorstellungen und durch kontextuelles Lesen der Bücher
der Bibel.
Ein Beispiel: Viele evangelikale Christen halten daran fest, die
Schöpfungsgeschichte wörtlich zu nehmen. Es scheint in Freikirchen sogar eine Mehrheit zu
sein, denn gegen aussen ist dies die Lehrmeinung. Natürlich lässt auch die Wissenschaft Fragen offen und
schüttet mit der Leugnung eines kreativen Gottes das Kind mit dem Bade aus.
Aber gleichzeitig widerstrebt es mir zutiefst, einem Schöpfungsmythos 1:1 zu
glauben, der erst über Jahrhunderte mündlich überliefert wurde, von Menschen,
die sich die Physik der Welt mit den Mitteln der Narration erklärten. Jahrelang
sagte ich, niemand könne genau wissen, wie die Welt entstanden ist. Aber es
spiele für mein Leben, für meine Gottesbeziehung ja auch keine Rolle. Heute bin
ich weniger vorsichtig, sondern weiss zumindest, was ich nicht glaube
und warum nicht.
Oft passiert es mir, dass ich mir Gedanken mache, die in eine bestimmte
Richtung gehen. Mir Dinge zu erklären und Fragen zu beantworten suche. Und dass
ich dann von jemand Gebildetem, Reifem genau in dieser Zeit etwas höre, was meine Gedankengänge in
kompakter, nachvollziehbarer Form auf den Punkt bringt. Zum Beispiel die Sache
mit Gottes Plan.
Als meine Mutter vorletztes Jahr schwer erkrankte, stellte ich mir nur
kurz die Frage nach dem Warum. Ich war längst zu der Überzeugung gelangt, dass
schlimme Dinge einfach passieren (zufällig, könnte man zugespitzt sagen), und
zwar Christen wie Nichtchristen. Der Glaube schützt nicht vor Krankheit, vor
dem Verlassenwerden, davor, Opfer von Fehlern anderer zu werden. (Ich bin aber
überzeugt davon, dass Gott aufgrund von Gebeten manchmal Wunder tut, Krankheiten
heilt und entgleiste Tatsachen zu einem guten Ende bringen kann.) Diese
Auffassung von Schicksalsschlägen widerspricht aber der Theorie, dass Gott für
das Leben seiner geliebten Kinder einen perfekten Plan hat. Dass nichts
geschieht, was nicht von ihm als Chance oder Lektion bewusst in unseren
Lebensteppich gewoben wurde.
Schlimme Dinge passieren. Wir können sie – an Gottes Hand durchs Leben
gehend – im besten Fall als Chance oder 'Lehrblätz' gebrauchen. Bei einem richtig
harten Schicksalsschlag ist dies aber von einem Menschen zu viel verlangt. Dann
hilft uns nur die Gewissheit, dass Gott mit uns leidet. Er weint mit uns
darüber, dass die Welt zur Zeit negativen Mächten ausgeliefert ist, die sich
zum Ziel gesetzt haben, Chaos, Hass und Zerstörung in das Leben jedes Einzelnen
zu bringen.
Dieses Gerüst zimmerte ich mir aus meinen eigenen Erfahrungen zusammen.
Dann sah ich ein kurzes YouTube-Video von Greg Boyd, in dem er das Konzept des
„Open Theism“ erklärt. Ein Leben mit Gott als Feld voller Möglichkeiten,
anstatt als Leben möglichst nahe an einem perfekten Plan entlang. Mit Boyds
Aussagen nahm in den Strukturen meines Gedankengerüsts eine zusammenhängende
Theorie Form an.
Fragen wie jene, warum sich trotz Gottes Liebe und Schutz unvermeidbar
dunkle Fäden in unseren Lebensteppich weben, sind elementar. Umso mehr drängt
es mich, Dinge, die ich als Erkenntnisse erfahre, als logische Erklärungen,
anderen mitzuteilen. Und da ich mich nicht auf das dünne Eis des Behauptens
begeben will, muss ich mir theologisches Hintergrundwissen aneignen. Ich bin
gespannt darauf, wohin dieser Weg mich führen wird."
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